Das gilt besonders für das Selbstporträt bei bildenden Künstlern, eine Gattung, die seit der Renaissance nicht nur der physiognomischen Studie, sondern auch der Innenschau dient und Auskunft über das Selbstverständnis des Künstlers gibt. Wolfgang Mattheuer malte 1970 einen Mann mit einem aufgesetzten Pappkarton, der ein steif lachendes, grellgelbes Gesicht zeigt ("Das zweite Gesicht"). Oder "Kain" (1965), das als Hinweis auf die beiden deutschen Teilstaaten interpretiert werden kann, die sich wie feindliche Brüder gegenüberstanden. Auch die 1981 entstandene monumentale Bronzeskulptur "Mann mit Maske (Gesicht zeigen)" - ein Anzugträger, der sich einen Schafskopf halb vors Gesicht hält - verweist auf die Scharade, zu der viele Menschen im sozialistischen System gezwungen waren. Mal trug er Paradeuniform, mal Matrosenanzug, mal gab er sich als Vagabund, mal als Landbriefträger - eine Exzentrik, mit der er im Kollektivstaat kalkuliert irritierte.
Source: Suddeutsche Zeitung October 27, 2017 18:22 UTC