„Das Auge der Kamera“, so Talbot, „würde sehen, wo das menschliche Auge nichts als Dunkelheit wahrnimmt“, und sämtliche Handlungen der ahnungslosen Bewohner registrieren. Mehr zum ThemaKulturhistorisch neu an den Überwachungsbildern ist deshalb ihre Funktion, mit ihrem Erscheinen zugleich auch ihr Verschwinden vorzubereiten. Im Unterschied zu Werken der bildenden Kunst, aber auch zu wissenschaftlichen Visualisierungen oder Bildern der Werbung sind sie nicht auf eingehende Betrachtung ausgerichtet. Entscheidend ist ihre Latenz: Sie werden hergestellt, weil noch niemand wissen kann, was vielleicht in naher Zukunft auf ihnen zu sehen sein wird. Bedeutsam werden nur wenige von ihnen, und das auch erst im Rückblick: wenn nämlich aus der Gleichgültigkeit des Bilderstroms nachträglich ein einzelnes Bild hervorsticht.
Source: Frankfurter Allgemeine Zeitung April 02, 2017 20:15 UTC